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Zwei Frauen stehen nebeneinander und unterhalten sich

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Kaufsucht – wenn das Shoppingvergnügen zur Gefahr wird

Shopping ist für viele Menschen eine beliebte Freizeitbeschäftigung: Durch das Angebot stöbern, etwas Neues entdecken und ausprobieren, macht Spass. Doch was, wenn Shoppen zur Sucht wird, der Kaufrausch das Budget sprengt und die Gedanken nur noch vom nächsten Kauf beherrscht sind? Ursula Sutter erklärt, was Kaufsucht überhaupt ist und wie und wo betroffene Personen und ihr Umfeld Hilfe erhalten.

Frau Sutter, Einkaufen ist für die meisten von uns etwas Alltägliches, Shoppen gehört zu einer beliebten Freizeitbeschäftigung in der Schweiz. Ist Kaufsucht überhaupt verbreitet? Und ab wann wird es problematisch bzw. ab wann spricht man von einer Kaufsucht?

Ursula Sutter: Leider ist Kaufsucht weiter verbreitet, als man denkt. Eine Erhebung des Bundesamts für Gesundheit aus dem Jahr 2019 berichtet von rund 330’000 kaufsüchtigen erwachsenen Schweizerinnen und Schweizern; dies entspricht in etwa der Zahl der alkoholabhängigen Personen in der Schweiz. Wie bei anderen Süchten auch wird das Kaufverhalten problematisch, wenn die Gedanken ans Shoppen immer mehr werden, d.h. Betroffene sich fast nur noch mit Dingen, die sie kaufen wollen beschäftigen. Dazu gehört auch das Stöbern, Vergleichen und Feilschen. Dieses Verhalten ist zeitaufwändig, löst Stress aus und führt dazu, dass Wichtiges im Leben wie z.B. Job oder Kinderbetreuung vernachlässigt werden. Im Verlauf der Sucht führt exzessives Kaufen zudem meist in die Schuldenfalle.

Gibt es bestimmte Merkmale von kaufsüchtigen Personen? Sind Frauen und Männer gleich betroffen? Sind es eher jüngere oder ältere Menschen?

Die bisherige Literatur verwies meist auf die Personenmerkmale jung, weiblich und niedriges Bildungsniveau. Diese Aussagen wurden mit der erwähnten Studie revidiert: Männer waren in der Gruppe der pathologisch Kaufsüchtigen gleich oft vertreten wie Frauen, jüngere Personen sind nur leicht übervertreten, einzig das niedrige Bildungsniveau hat sich bestätigt. Generell kaufen Frauen eher Kosmetik, Kleider, Schmuck und Schuhe; Männer eher Elektronik und technische Geräte, aber auch hier gibt es eine Angleichung.

Wie wird jemand kaufsüchtig? Gibt es einen Auslöser oder passiert das schleichend?

Die Entstehung einer Kaufsucht ist so individuell wie die betroffenen Personen. Risikofaktoren für die Entwicklung einer Kaufsucht sind auf der personellen Ebene ein geringes Selbstwertgefühl oder Schwierigkeiten, Impulse kontrollieren zu können. Hinzu kommt auf der gesellschaftlichen Ebene der Druck der Konsumgesellschaft bzw. des sozialen Umfeldes. Während Shoppen zu Beginn einfach Spass macht und als lustvoll erlebt wird, nimmt das Verhalten zunehmend eine bestimmte Funktion ein. So führt der Wunsch nach sozialer Anerkennung dazu, Produkte zu kaufen, die man sich vielleicht gar nicht leisten kann. Kaufen kann aber auch helfen, unangenehme Gefühle wie Trauer, Leere und Einsamkeit zu verdrängen. Wer von uns kennt keine Frust- oder Belohnungskäufe? Beim Einkauf vor Ort kann Kaufen auch den Selbstwert stärken: Wenn man mich im Geschäft kennt, mit Namen anspricht und mich zuvorkommend bedient, fühlt sich das gut an. Diese positiven Erlebnisse führen dazu, dass man immer häufiger und mehr kauft, weil man das gute Gefühl erneut erleben will. Der Drang zu kaufen lässt sich nicht mehr kontrollieren. Rechnungen und Betreibungen werden verdrängt. Um sich abzulenken, wird von neuem geshoppt – ein Teufelskreis.

Was läuft in einer Person ab, die kaufsüchtig ist? Können Sie einen Fall aus der Beratung als Beispiel nehmen?

Wie erwähnt gibt es sehr unterschiedliche Gründe, in eine Kaufsucht zu schlittern. Fast immer spielen dabei aber Emotionen eine wichtige Rolle. Ich erinnere mich gut an meine erste kaufsüchtige Klientin. Eine junge, erfolgreiche Berufsfrau im Dienstleistungssektor. Der Job war sehr anspruchsvoll und das Arbeitsklima eher kompetitiv. Meine Klientin wurde mehrmals zur Mitarbeiterin des Monats ausgezeichnet und verdiente entsprechend gut. Die Single-Frau lebte in einer schicken Wohnung und arbeitete vorwiegend im Home-Office. Als sie zum Erstgespräch kam, war sie bereits hoch verschuldet und sehr beschämt. Im Therapieverlauf zeigte sich: Die Klientin kaufte täglich über Mittag ein, Schmuck, Kleider, Kosmetik, Schuhe, Sportutensilien und exklusive Lebensmittel. Viele dieser Dinge brauchte sie nicht. Aber das Shoppen führte zu Gesprächen, zu sozialen Kontakten. Nach Arbeitsschluss shoppte sie abends manchmal auch noch online. Die Klientin hatte kaum Freundinnen, Kollegen und soziale Kontakte, sie war schlicht einsam. Als sie erkannte, worum es ging, konnte sie rasch eine Veränderung herbeiführen. Sie begann, regelmässig im Büro zu arbeiten, verbrachte die Mittagszeit mit den Arbeitskollegen und besuchte wieder das Fitnessstudio. Psychisch ging es ihr rasch besser, die Schulden zahlt sie noch heute ab.

Kaufsucht

Welche Folgen hat die Sucht für die betroffene Person?

Die Folgen sind sehr unterschiedlich. Auf psychischer Ebene können sich depressive Episoden und Angststörungen entwickeln, auch zusätzliche Suchterkrankungen wie Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit sind bekannt. Die oft grossen finanziellen Probleme führen zu Schuldensanierungen und Lohnpfändungen bis hin zu Privatkonkurs. Aus Scham- und Schuldgefühlen wird über die Probleme nicht gesprochen, Betroffene ziehen sich eher zurück, verlieren ihr soziales Umfeld. Wichtig zu wissen ist, nicht nur die Kaufsüchtigen selbst sind von den Folgen hart betroffen, Partnerinnen und Partner, Kinder oder Eltern leiden unter der Situation ebenso.

Hat die Corona-Pandemie die Kaufsucht bei betroffenen Personen verstärkt? Wenn ja wie?

Dazu ob bereits Kaufsüchtige ihr Kaufverhalten intensivierten, gibt es noch keine Zahlen. Allerdings haben wir alle miterlebt, wie viele Pakete die Post in der Corona-Zeit sortierte und auslieferte. Im Lockdown hat sich das Einkaufen bei vielen Menschen stark ins Internet verlagert, hinzu kam mehr frei verfügbare Zeit evtl. kombiniert mit Langeweile. Ob dies langfristig zu einer Steigerung von Kaufsüchtigen führt oder einfach eine Verlagerung zum Online-Shopping bedeutet, wird die Zukunft zeigen.

Welchen Einfluss hat Online-Shopping und bargeldloser Zahlungsverkehr auf die Entwicklung der Kaufsucht?

Die Studie des Bundesamts für Gesundheit überprüfte insbesondere eine allfällige Zunahme der Kaufsucht im Zusammenhang mit dem Online-Shopping. Interessanterweise blieb die Gesamtzahl der Kaufsüchtigen gegenüber der Erhebung aus dem Jahr 2003 mit rund 330’000 Personen (4.8 Prozent) stabil. Rund 260’000 Personen (3.8 Prozent) der Betroffenen kaufen in Geschäften ein, mehr als die Hälfte der Kaufsüchtigen (2.9 Prozent) shoppen zudem auch online. Im Online-Bereich weisen Männer deutlich höhere Werte auf als Frauen, im realen Shopping unterscheiden sich die Geschlechter nicht. Man könnte daher sagen, dass sich die Problematik weniger verstärkt denn verlagert hat, vom realen Shopping zum Online-Shopping, und zu mehr Männern.
Interessant sind aber zusätzlich erste Schätzungen der Studie zu risikoreichem Kaufverhalten, also zu Personen, die die Kriterien einer Kaufsucht nicht erfüllen, deren Verhalten aber als problematisch eingeschätzt wird. Hier liegen die Zahlen deutlich höher: Gemäss den Schätzungen hat ungefähr jede fünfte Person in der Schweiz (21 Prozent) ein risikoreiches Kaufverhalten im realen Shopping, rund 11 Prozent der Bevölkerung weist ein risikoreiches Online-Kaufverhalten auf. Zudem sind beim Online-Shopping die jüngeren Personen erwartungsgemäss übervertreten.
Mit Handy und Internet ist es heute jederzeit möglich, online zu shoppen. Durch den Kauf auf Rechnung oder mittels Kreditkarte muss erst später gezahlt werden. All dies erhöht das Risiko, in eine Kaufsucht zu schlittern.

Was bedeutet es für das Umfeld einer kaufsüchtigen Person? Wie sind Angehörige, Familie, Freunde und Bekannte betroffen?

Kaufsucht wird oft als «stille» Sucht bezeichnet, sie schleicht sich unauffällig an und wird oft erst spät bemerkt. Tatsächlich wird die Problematik im Umfeld meist erst zum Thema, wenn Mahnungen oder gar Betreibungen ins Haus flattern. Wenn das Geld knapp wird und die Schulden hoch sind, leiden Angehörige direkt mit. So muss beispielsweise auf den Kauf des versprochenen Fahrrads für die Tochter ebenso verzichtet werden wie auf den jährlichen Familienurlaub. Auch der Kontakt zu Freunden und Familie wird meist schwieriger, wenn man finanziell nicht mehr mithalten kann. Und über die Sucht und ihre Folgen zu sprechen, fällt den meisten enorm schwer. Oft leiden Angehörige mehr als Betroffene und meist sind sie es auch, die die betroffene Person dazu anhalten, sich Hilfe zu suchen.

Woman holding colorful shopping bags in a department store

An wen können sich betroffene Personen oder das Umfeld richten, wenn Sie Hilfe brauchen?

Betroffene und Angehörige können sich an Suchtfachstellen oder psychiatrische Institutionen wenden. Anonymer und niederschwelliger kann die Hilfe mit sicherer Online-Beratung auf der Website der Berner Gesundheit oder via safe-zone.ch angefragt werden.

Wie unterstützt die Berner Gesundheit betroffenen Personen sowie deren Umfeld? Was für Angebote gibt es?

Die Berner Gesundheit bietet Einzel-, Paar- und/oder Systemsitzungen für Betroffene und deren Umfeld an. Im therapeutischen Gespräch analysieren wir gemeinsam die Situation und fördern das Verständnis und die Veränderungsmotivation des Betroffenen. Zudem stellen wir wo nötig einen Kontakt zur Schuldenberatungsstelle her; eine gut aufgegleiste Schuldensanierung wirkt sich meist entlastend aus auf alle Beteiligten.

Was können gefährdete Personen selber tun? Welche Tipps können Sie Ihnen geben?

Personen, die das Gefühl haben, ihnen entgleite die Kontrolle über ihr Kaufverhalten, können ihre Einkäufe protokollieren und so eine bessere Übersicht gewinnen. Was zudem hilfreich sein kann: nicht alleine einkaufen, Budget erstellen, Einkaufsliste schreiben, das verhindert Spontanshopping, Bezahlung nur mit Bargeld, da Kredit- und Bankkarten zu unüberlegten Einkäufen verleiten. Bei der 24-Stunden Regel lässt man Ware zurücklegen bzw. online im Warenkorb und gewinnt so Zeit den Kaufentscheid zu überdenken. Und das Wichtigste: die Freizeit mit anderen Aktivitäten füllen. Im Internet finden sich auch Selbsttests zu Kaufsucht – anonym prüfen, wie ausgeprägt das Verhalten schon ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Ursula Sutter, Psychologin MSc und eidg. anerkannte Psychotherapeutin, ist Beraterin und Therapeutin im Zentrum Berner Oberland bei der Berner Gesundheit.

Telefon: 033 225 44 00

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