Multiprofessionelles Symposium zur Versorgungskrise bei Kindern und Jugendlichen, 19. November 2022 in Bern
An einem von der Stiftung Berner Gesundheit organisierten multidisziplinären Symposium in Bern haben sich Fachleute am 19. November 2022 mit der Versorgungskrise bei Kindern und Jugendlichen mit psychischen Belastungen ausgetauscht. Die Teilnehmenden haben in Workshops mögliche Lösungsansätze erarbeitet. Daraus hat die Berner Gesundheit fünf Forderungen an Politik und Verwaltung abgeleitet.
Zwischen 2017 und 2021 hat sich der Anteil von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Schweiz, die von psychischen Belastungen berichten, mehr als verdoppelt! Sie und ihre Angehörigen werden dabei oft allein gelassen: Kinder und Jugendliche warten teilweise monatelang auf ein passendes Betreuungs- oder Unterstützungsangebot.
Rund 80 Fachleute aus Organisationen und Verbänden aus dem Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen, aus Forschung, Politik und Verwaltung haben sich am 19. November 2022 in Bern an einem Symposium mit der akuten Versorgungskrise von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Belastungen auseinandergesetzt. In Workshops haben die Teilnehmenden die Versorgung und die Ressourcen unter verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert und Lösungsansätze skizziert. Daraus sind fünf Kernforderungen an Politik, Verwaltung und Behörden abgeleitet worden:
1. Kantonale Taskforce «Psychische Gesundheit» einberufen
Um der akuten Versorgungskrise interdisziplinär und ganzheitlich zu begegnen, ist eine kantonale Taskforce «Psychische Gesundheit» nötig mit allen beteiligten und betroffenen Organisationen aus Politik, Verwaltung, Behörden, Gesundheits- und Sozialwesen, Bildung, Wirtschaft, Krankenversicherung, Forschung und Peers (Betroffene). An einem runden Tisch sollen rasche und unbürokratische Lösungen geprüft und aufgegleist werden, um die betroffenen Kinder und Jugendliche sowie ihre Angehörigen zu entlasten.
2. Übergänge und Durchlässigkeit zwischen Angeboten sichern
Die Durchlässigkeit zwischen ambulanten und stationären Angeboten zur psychosozialen und psychiatrischen Versorgung im Kanton Bern ist in vielen Fällen nicht gewährleistet und Übergangslösungen zwischen einzelnen Angeboten fehlen. Die Versorgung muss koordiniert werden. Dazu sind interdisziplinäre Teams nötig, die den Bedarf prüfen und den Betroffenen und ihren Familien niederschwellige Lösungen und Unterstützung anbieten. Ein solches Netzwerk zur koordinierten Versorgung kann in Form von regionalen Zentren mit einem Care- und Case-Management organisiert werden, es sind jedoch auch weitere Formen denkbar. Der Kanton soll den Bedarf erfassen und diese Lücke schliessen.
3. Gemeinden unterstützen – Prävention fördern
Gemeinden, die in Präventionsprojekte für Kinder und Jugendliche sowie in Partizipationsprojekte investieren, leisten einen wichtigen Beitrag zur Vorbeugung nicht nur von psychischen Belastungen. Gemeinden dürfen mit diesen Herausforderungen nicht alleine gelassen werden und sollen fachliche und finanzielle Unterstützung erhalten.
4. Schulen entlasten
Die Verhinderung von psychischen Erkrankungen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen soll oberste Priorität geniessen. Als Massnahme der Früherkennung und -intervention hat sich das schulsozialarbeiterische Angebot bewährt, welches gleichzeitig Lehrpersonen entlastet. Das Potenzial der Schulsozialarbeit ist in den Gemeinden noch nicht ausgeschöpft. Zudem gilt die Schulsozialarbeit im Kanton Bern als ein freiwilliges, schulergänzendes Angebot. Die Gemeinden entscheiden, ob sie eine Schulsozialarbeit anbieten. Dies soll sich ändern. Ähnlich wie in anderen Kantonen sollen die Gemeinden verpflichtet werden, ein bedarfsgerechtes Angebot an Schulsozialarbeit zu gewährleisten.
Für den schulischen Unterricht soll eine permanente Sensibilisierung der Schülerinnen und Schüler für die psychische Gesundheit als verbindliches Ziel deklariert werden. Dazu sollen im Sinne der Früherkennung idealerweise auch die schulärztlichen Dienste mit ihren Untersuchungsprogrammen eingebunden werden. Somit treten im Schulalltag weniger Eskalationen auf, wovon die Schulen profitieren.
5. Dem Fachkräftemangel entgegenwirken
Der bestehende akute Fachkräftemangel in der Kinder- und Jugendpsychiatrie wird mittelfristig durch eine Pensionierungswelle zusätzlich verstärkt werden. Die Rahmenbedingungen für die Nachwuchsförderung müssen verbessert werden. Die Errichtung eines psychosozialen Instituts könnte die Interdisziplinarität fördern und ein Praxisassistenzprogramm könnte die Studierenden frühzeitig an die Fachrichtung heranführen.
Keine Kostenzunahme dank Umlagerung der Investitionen
Da die Finanzierungssysteme im Gesundheitswesen und in der Sozialhilfe nur auf nationaler Ebene reformiert werden können, sollen auf kantonaler Ebene niedrigschwellige Massnahmen und Angebote der Prävention, Gesundheitsförderung sowie Früherkennung und -intervention besser und stärker unterstützt werden. Zum Beispiel sollen Aufwendungen für multidisziplinäre Koordinations- und Vernetzungsarbeiten (Übergänge im Behandlungspfad) abgegolten werden. Durch eine Umlagerung der Ausgaben für die Behandlung hin zur wirkungsvollen Prävention können die Massnahmen langfristig kostenneutral finanziert werden. Prävention lohnt sich auch finanziell.
Versorgungskrise und psychische Belastungen auch weiterhin ein Thema
Die Stiftung Berner Gesundheit wird die Forderungen den verschiedenen Anspruchsgruppen übermitteln. Im Verlauf des nächsten Jahres soll an einer Veranstaltung mit den Teilnehmenden des Symposiums vom November 2022 der Stand der Umsetzung geprüft werden. Für die Berner Gesundheit ist klar: Das Versorgungssystem für Kinder und Jugendliche muss den präventiven Ansatz mit Früherkennung und -intervention stärker gewichten und die Übergänge zwischen Angeboten stärken.
Kontakt:
Christian Ryser, Geschäftsführer, christian.ryser@beges.ch, Telefon 031 370 70 60